Der Wert einer Entschuldigung: Teil I
Von Kerstin Maria Huber
„Entschuldige bitte, aber…“ – „Tschuldigung…“ – „Sorry…“ - „Passt schon, oder?…“
Entschuldigung wird als Wort und Kommunikationswerkzeug im Alltag heutzutage viel und gerne gebraucht. Es wird inflationär gebraucht, und es sollte inflationär gebraucht werden! Nur nicht in der Art und Weise, wie es häufig geschieht – als Formel, mit der sich der Sprecher direkt freisprechen und die damit verknüpfte Situation und Handlung auflösen möchte. Und das am besten schnell. Im System Beziehung mit Anderen und zu sich selbst kann das auf einer grundlegenden Ebene nicht funktionieren.
Im Gegenteil, passiert es öfters, oder handelt es sich um eine Schuld größerer Dimension, kann es Situationen noch verschärfen und berufliche wie private Beziehungen nachhaltig negativ beeinträchtigen.
„Entschuldige bitte, aber…”, „Tschuldigung…”, „Sorry…”, „Passt schon, oder?…” Dies alles sind verschärfte Varianten des eben beschriebenen Phänomens. Verschärft deshalb, weil sie flapsig über den für den Anderen entstandenen Schaden oder die Verletzung hinweggehen. Weil sie den Eigenanteil an der geschehenen Handlung relativieren – durch äußere Umstände, durch die Empfindlichkeit des Gegenübers, durch höhere Gewalt, durch… Weil das Übernehmen von Verantwortung für das eigene Tun nicht oder nicht ausreichend erkennbar ist. Weil es nicht selbstreflektierend ist, sondern auf externe Faktoren oder primär auf einen Anteil des Gegenübers verweist. Weil es schnell erledigt sein soll. Weil es natürlich meistens sehr unangenehm ist.
Die Absicht des sich (selbst) Entschuldigenden erscheint nicht ernsthaft und auf den Anderen bezogen. Vielmehr können solche, als Worthülsen gebrauchte Wendungen die Erlebniswelt des Anderen und das verursachte Übel marginalisieren. So vergrößern sie nicht selten die Verletzung und den Schaden für den Anderen.
Was diesem Verhalten zugrunde liegen kann, darauf komme ich noch zurück – und auch darauf, was die Bitte um Entschuldigung für eine Mediation, aber auch als Alltagswerkzeug bedeuten kann; welche persönlichen Erfahrungen ich in den letzten Jahren dahingehend gemacht habe und auch damit, nicht um Entschuldigung bitten zu dürfen. Und überhaupt: gäbe es nicht eine taugliche Alternative zu dieser vielleicht sperrigen Wendung?
Von was ist hier eigentlich die Rede? - „Entschuldigung, dass…“ oder „Ich bitte um Entschuldigung“ / „Entschuldigen Sie bitte…“ - alles das Gleiche!?
Es hilft sicherlich, sich dem Begriff sich entschuldigen, um den es hier im engeren Sinne geht, erst einmal über seine Herkunft und seine mögliche Rolle im sozialen Beziehungssystem zu nähern. Dadurch wird deutlich, warum in diesem Fall feine Unterschiede im Ausdruck in der Bedeutung einen großen Unterschied machen.
Sprache ist ein listiger Fuchs: der Schlüssel liegt wie so oft in der etymologischen Bedeutung eines Wortes
Laut Duden bedeutet sich entschuldigen „jemanden wegen eines falschen Verhaltens o. Ä. um Verständnis, Nachsicht, Verzeihung bitten” und verbindet sich etymologisch mit dem mittelhochdeutschen „entschuldigen = lossagen; freisprechen” (https://www.duden.de/rechtschreibung/entschuldigen, 01.05.2023).
Beide Begriffserklärungen machen auf den ersten Blick deutlich, dass das Konzept Entschuldigung nicht eine One-Man-Show ist, sondern mindestens aus zwei Akteuren besteht. Im Gegensatz zu einem Konflikt, für den es lediglich einer Person bedarf, die sich in ihrem Wirken, Wollen und Sein nachhaltig beeinträchtigt fühlt, braucht es für das System Entschuldigung mindestens zwei Personen: Eine Person, die um Entschuldigung bittet, und eine Person, die dieser Bitte nachkommt.
Man kann sich laut Definition also nicht selbst ent-schuldigen, sondern braucht den Anderen, der einen ent-schuldigt. Der die Schuld von einem nimmt und damit auch die Last. Denn nicht nur der Verursacher fügt dem Anderen durch ein Verhalten Schaden zu und belastet ihn, sondern er belastet sich auch selbst durch sein eigenes Verhalten, z.B. moralisch.
So lässt sich nun auch der Unterschied zwischen „Entschuldigung, dass…“ oder „Ich bitte um Entschuldigung…“ leicht nachvollziehen. Beides klingt im ersten Moment gleich oder zumindest fast. Allerdings bildet letzteres das eben ausgeführte ab. Ersteres lässt den Verursacher in der vermeintlich Entscheider- und Bestimmerrolle, die jedoch dem Anderen zukommt.
Letztendlich geht es doch darum, dass der Eine um Entschuldigung bittet und hofft, dass der Andere seiner Bitte nachkommt. Ab diesem Zeitpunkt gibt der Eine die Kontrolle und die Lösbarkeit der Situation aus der Hand, denn der Andere muss seiner Bitte nicht automatisch nachkommen. Es ist kein Selbstläufer.
Dabei ist die Notwendigkeit einer Entschuldigung nicht problemlos daran messbar, wie vermeintlich groß oder wie klein das vorausgegangene Vorkommnis ist: Ob es sich beispielsweise um ein wiederholtes Zuspätkommen oder Absagen von Terminen handelt, einen dummen Spruch oder eine sich hinziehende finanzielle Verpflichtung, die Nichteinhaltung von beruflichen Vereinbarungen oder gar um massive Vergehen, die starke Formen von Gewalt oder eine schwere Schuld zum Inhalt haben.
Hinzu kommt, dass auch immer der Andere maßgeblich mitentscheidet, wie groß oder klein etwas einzuordnen ist, weil jeder Mensch seine eigene Geschichte hat und eigene neuralgische Punkte, die sich nicht immer von selbst erklären. Für den Verursacher in einer Situation A kann etwas anderes in der Situation B, das den Anderen nun wiederum nicht belasten würde, ein K.-o.-Kriterium sein.
Das System ist also wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es ist eng verknüpft mit der Fähigkeit, sich, die Situation und den Anderen zumindest ein Stück weit reflektieren zu können. Auch um sich solch wichtige Fragen zu stellen: Wieso fällt es oft so schwer, um Entschuldigung zu bitten und damit Verantwortung zu übernehmen – für das eigene Tun oder auch lediglich für die Betroffenheit des Anderen? Den Anderen wirklich mitzudenken? Ihn als wahren Adressaten der Entschuldigung zu behandeln?
Der Mensch ist ein soziales Tier und keine Insel in einem stillen Gewässer: das eigene Tun zieht Kreise
Menschen leben in Beziehungssystemen und Resonanzräumen (vgl. allg. Hartmut Rosa), unabhängig davon, wie groß oder klein das eigene System und der eigene Raum ist. Meist ist er größer, als wir vielleicht denken, weil nicht nur ständige oder wiederkehrende Begegnungen und Kontakte dazu zählen, sondern auch temporäre oder einmalige. Verhalten und Handlungen eines Menschen beeinflussen System wie Raum, sprich andere Menschen.
Das Wort Entschuldigung beinhaltet nun einmal das Wort Schuld, welches auch ohne christlich-komplexen Kontext schlicht eine Verursachung von Unrecht oder einen Fehler einem anderen Gegenüber enthält. Deshalb macht es Sinn, dass nach Justus Duhnkrack „Entschuldigung ihren Ausgangspunkt in der Schuldfrage findet. Diese orientiert sich aus ethischer Sicht an zwei Komponenten: dem Bestehen einer Norm, von der abgewichen wird, sowie der persönlichen Verantwortung.” (Duhnkrack, S. 33)
Für mich stellt diese Definition einen guten Kompass dar, um weder leichtfertig mit dem Schuldbegriff umzugehen, noch durch die oben skizzierten Worthülsen den Wert einer Entschuldigung zu mindern. Wird im Miteinander eine Norm verletzt, wird keine Verantwortung für das eigene Tun übernommen, so wird folgerichtig das System und der Raum Beziehung beschädigt. Es zu ignorieren führt im schlimmsten Fall zu Gleichgültigkeit oder weiterer Eskalation und Verletzung.
Um Entschuldigung zu bitten, kann also als Beziehungspflege verstanden werden – sei es, um die Beziehung zu verbessern, wiederherzustellen oder auch, um sie gut zu beenden. Fragen nach Versöhnung und Vergebung sind damit eng verknüpft, aber nicht automatisch kausal verbunden. Das ist sicherlich einen eigenen Artikel wert.
Dabei geht es nun nicht darum, und das möchte ich ausdrücklich betonen, ein System der Schuld zu etablieren, das eine klare Rollenverteilung von Täter und Opfer festschreibt. Das käme einer automatisierten, vergangenheitsbezogenen Einbahnstraße gleich. Schuld ist ein weites Feld, wie wir weiter oben gesehen haben, und hängt immer auch vom Standort und System des Einzelnen ab.
Hilfreich in diesem Geflecht der unterschiedlichen Standorte und Historien ist damit auch immer, die Sicht des Anderen mitzudenken: selbst wenn im eigenen System oder der eigenen Wahrnehmung keine Schuld erkennbar ist oder man keine Schuld empfindet, man aber bemerkt, dass im System oder der Wahrnehmung des Anderen diese Schuld oder auch eine Verletzung sehr wohl besteht, dann kann eine Bitte um Entschuldigung sinnvoll und angemessen sein. Das läuft dann unter dem wirkungsvollen Faktor des Perspektivenwechsels, der auch in der Mediation eine entscheidende Rolle spielt.
Warum ist es dann oft so schwer, und dabei nehme ich mich selbst auch nicht aus, die Entschuldigung in ihrem Wert anzuerkennen und nicht als Worthülse, sondern als ernst gemeinte Bitte zu formulieren? Dem nähere ich mich im zweiten Teil des Artikels Der Wert einer Entschuldigung an und auch dem Gedanken, warum es sich lohnt, sich die Frage nach der Schuld in einer Mediation doch anzuschauen.
Weiterführende Literatur:
Justus Duhnkrack: Entschuldigung in Gerichtsverfahren und Mediation. 2020 (Viadrina-Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement, Bd. 18). Frankfurt am Main: Wolfgang Metzner Verlag.
Joseph Duss-von Werdt: Einführung in die Mediation. 2. überarbeitete Auflage 2011 (2. überarbeitete Auflage. (Reihe: Carl-Auer Compact). Heidelberg: Carl-Auer.
Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen. 5. Auflage 2021 (Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2272). Berlin: Suhrkamp.