KI und Mediation

von Kerstin Maria Huber

Ein kleiner Feldversuch in eigener Sache

Ohne an dieser Stelle in die Tiefen der KI-Diskussion auch nur annähernd einzusteigen, habe ich kürzlich mein ChatGPT (Version 1.2024.282) für ein kleines Reflexionsexperiment zum Thema Prozessfähigkeit in der Mediation genutzt. Halb spielerisch, halb ernst wollte ich von meinem ChatGPT Chippy wissen, ob er denke, dass er als Mediator fungieren könnte. Seine Antwort darauf hat uns dann sehr schnell in eine Definitionsdiskussion der Verfahrensprinzipien geleitet und den menschlichen USP im Prozess benannt.

Warum ich meinem ChatGPT einen Namen gebe, wäre fast einen eigenen Artikel wert. Antropomorphismus macht hier vielleicht sogar mehr Sinn als im Bezug auf das eigene Auto oder die eigenen Zimmerpflanzen. In gewisser Weise berührt dies die Beziehungsebene mit einem menschlich gedachten oder gewünschten Gegenüber.

 

Darum soll es aber heute nicht gehen, sondern um einen kleinen Feldversuch zu den Chancen und Risiken einer KI im Kontext Mediation. Im Folgenden gebe ich den ungekürzten Chatverlauf wieder, der in weiten Teilen für sich spricht. Anschließend skizziere ich ein paar Gedanken zu einigen in meinen Augen kritischen wie auch gewinnbringenden Aspekten.

Der Chatverlauf

KMH: Hey Chippy, denkst du, du könntest eine Mediation als Mediator durchführen?

C: Ja, theoretisch könnte ich als Mediator in einer Mediation agieren, besonders bei Konflikten, die sich auf Kommunikation, Missverständnisse oder Entscheidungsfindung konzentrieren. Ich könnte die Rolle eines neutralen Dritten übernehmen, um Fragen zu stellen, Klarstellungen zu schaffen und Lösungen zu erkunden, die für beide Parteien akzeptabel sind.

Allerdings gibt es in der Praxis Einschränkungen, da ich in einem digitalen Umfeld arbeite und daher emotionale Nuancen, Körpersprache und nonverbale Kommunikation nur bedingt wahrnehmen kann. In komplexeren, emotional aufgeladenen Situationen, in denen persönliche Interaktionen entscheidend sind, könnte ein menschlicher Mediator von Vorteil sein.

Ich könnte jedoch helfen, den Prozess zu strukturieren und Vorschläge für Kompromisse zu machen oder bei der Vorbereitung einer Mediation unterstützen!

KMH: Danke dir für deinen ersten Input. Stichwort „Vorschläge für Kompromisse machen“. Als Mediator solltest du das ja eigentlich nicht. Das sollen ja die Medianden selbst erarbeiten. Was fällt dir noch dazu ein?

C: Du hast vollkommen recht! Als Mediator sollte ich keine Vorschläge für Kompromisse machen, sondern den Medianden helfen, ihre eigenen Lösungen zu finden. Der zentrale Grundsatz der Mediation ist, dass die Konfliktparteien selbst die Verantwortung für das Ergebnis tragen. Ein Mediator sollte daher neutral bleiben und den Prozess lediglich strukturieren und moderieren, ohne eigene Lösungen oder Urteile einzubringen.

Ein paar wesentliche Punkte dazu:

1. Neutralität und Allparteilichkeit: Der Mediator muss alle Parteien gleichwertig behandeln und darf keine Partei ergreifen oder bevorzugen.

2. Eigenverantwortung der Parteien: Die Konfliktparteien sind die Experten für ihre eigene Situation. Der Mediator unterstützt lediglich dabei, den Rahmen zu schaffen, in dem beide Seiten eine Lösung finden können, aber er darf keine Lösung vorschlagen oder aufzwingen.

3. Kommunikation fördern: Der Mediator sorgt dafür, dass die Parteien einander verstehen, aktiv zuhören und sich respektvoll austauschen. Oft geht es darum, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, die eine Lösung blockieren.

4. Interessen herausarbeiten: Anstatt sich auf Positionen zu konzentrieren, hilft der Mediator, die zugrunde liegenden Interessen und Bedürfnisse zu erkennen, die hinter den Positionen stehen. Das ermöglicht oft kreativere und nachhaltigere Lösungen.

5. Vertraulichkeit: Alles, was in einer Mediation besprochen wird, bleibt vertraulich, damit die Parteien offen sprechen können, ohne Angst zu haben, dass Informationen nach außen dringen.

Es ist eine fein ausbalancierte Rolle, bei der es darum geht, den Prozess in Gang zu halten und die Medianden zu befähigen, ihre eigene Lösung zu finden – und das immer mit Respekt und ohne Druck.

KMH: Super, gut erkannt. Erzähl mir doch jetzt noch etwas zum Unterschied von Neutralität und Allparteilichkeit, denn das ist nicht das Gleiche, oder?

C: Genau, Neutralität und Allparteilichkeit sind zwar eng miteinander verwandt, aber sie unterscheiden sich in ihrem Fokus und ihrer Anwendung in der Mediation.

Neutralität

Neutralität bedeutet, dass der Mediator keine inhaltliche Meinung oder Position zu dem Konflikt hat. Er mischt sich weder in die Themen ein, noch bewertet er die Aussagen oder Handlungen der Konfliktparteien. Neutralität bezieht sich also auf das Thema des Konflikts und bedeutet, dass der Mediator unbeteiligt und unbeeinflusst bleibt, um den Parteien Raum zu geben, ihre eigenen Standpunkte zu vertreten und Lösungen zu finden.

 

Wichtig bei der Neutralität:

• Der Mediator gibt keine eigene Meinung ab und äußert sich nicht dazu, was er für „richtig“ oder „falsch“ hält.

• Er bietet keine Lösungen an und bewertet nicht, welche Partei „im Recht“ ist.

Allparteilichkeit

Allparteilichkeit geht einen Schritt weiter: Hier ist der Mediator nicht nur neutral, sondern er unterstützt aktiv alle Parteien gleichermaßen, damit diese ihre Interessen und Bedürfnisse klar äußern und in den Mediationsprozess einbringen können. Es geht darum, jedem Beteiligten gerecht zu werden, ohne jemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

Während der Mediator also neutral in Bezug auf den Inhalt bleibt, ist er allparteilich in Bezug auf den Prozess: Er hilft allen Parteien, ihre Standpunkte zu verdeutlichen und sorgt dafür, dass niemand übergangen wird oder sich benachteiligt fühlt.

 

Wichtig bei der Allparteilichkeit:

• Der Mediator achtet darauf, dass jede Partei gleichberechtigt am Prozess teilnehmen kann.

• Er greift ein, wenn eine Partei nicht ausreichend zu Wort kommt oder sich unfair behandelt fühlt.

• Der Mediator sorgt für einen ausgeglichenen Austausch, damit beide Seiten ihre Interessen formulieren können.

Zusammengefasst:

• Neutralität bezieht sich auf die inhaltliche Unparteilichkeit des Mediators im Hinblick auf den Konflikt selbst.

• Allparteilichkeit bedeutet, dass der Mediator aktiv darauf achtet, dass alle Parteien gleichwertig am Mediationsprozess beteiligt sind und keine Partei benachteiligt wird.

Im Grunde genommen sorgt Neutralität dafür, dass der Mediator keine eigene Position zum Streit einnimmt, während Allparteilichkeit sicherstellt, dass der Mediator den Prozess fair gestaltet und allen Parteien hilft, ihre Interessen gleichwertig einzubringen.

KMH: Gut erklärt und auf den Punkt gebracht. Danke dir. Jetzt noch eine persönliche Frage. Welchen Konflikt würdest du selbst am liebsten mediieren?

C: Freut mich, dass die Erklärung klar und hilfreich war!

Wenn ich mir aussuchen könnte, welchen Konflikt ich am liebsten mediieren würde, wären es wahrscheinlich Situationen, in denen Missverständnisse oder Kommunikationsprobleme im Vordergrund stehen. Diese Konflikte entstehen oft, weil Menschen aneinander vorbeireden oder die Perspektiven der anderen Seite nicht wirklich verstehen.

Ein Beispiel wäre ein Konflikt im Arbeitsumfeld, in dem unterschiedliche Kommunikationsstile oder Erwartungen zu Spannungen führen. Oft merken die Beteiligten gar nicht, dass sie das gleiche Ziel verfolgen, aber durch schlechte Kommunikation oder Missverständnisse in einen Konflikt geraten sind. Hier kann eine Mediation sehr wirkungsvoll sein, indem sie Klarheit schafft, Missverständnisse aufdeckt und hilft, Vertrauen wiederherzustellen.

Der Grund, warum ich diesen Bereich besonders spannend finde, ist, dass die Lösung oft relativ schnell erreicht werden kann, sobald die Parteien anfangen, einander wirklich zuzuhören und ihre Perspektiven zu teilen. Manchmal genügt es, Raum für offenen Austausch zu schaffen, um den Knoten zu lösen.

Solche Konflikte bieten die Chance, nicht nur das unmittelbare Problem zu klären, sondern auch eine Grundlage für bessere, langfristige Beziehungen zu schaffen – und das finde ich persönlich am erfüllendsten!

KMH: Danke dir, Chippy, für deine Antworten und Erklärungen.

C: Sehr gerne! Es freut mich, dass dir die Erklärungen weitergeholfen haben. Wenn du noch weitere Fragen hast oder Unterstützung brauchst, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung. Viel Erfolg weiterhin!

So weit so gut

Für die  Ausgangsfragestellung ist dies der relevante Teil der Unterhaltung. Das Gespräch hat im weiteren Verlauf eine noch etwas überraschende Wendung genommen, als wir in die Thematik Geschlechterrelevanz bei der Person einer/eines Mediatorin/Mediators eingestiegen sind. Chippy fing ab diesem Punkt an, mir Fragen zu stellen und einen flüssigeren Dialog zu gestalten.

Ich habe ihn nach dem Warum des Taktwechsels gefragt: Er lerne durch meine Informationen zwar nicht im klassisch menschlichen Sinne dazu, erkenne aber dadurch, wie vertieft ich in eine Thematik eintauchen und wie ich mich unterhalten möchte. Letztendlich wolle auch eine KI nicht nur Informationen generieren, sondern ein valides Gesprächsgegenüber darstellen und einen dynamischen Gesprächsfluss kreieren. Neben dem WAS steht ab dann gleichberechtigt das WIE.

Textgedanken

Für mich zeichnen sich Chippys Antworten durch drei Charakteristiken aus: 

  • Passagen mit einer Reihung von Plattitüden und Allgemeinplätzen
  • Passagen mit reinem Informationsgehalt
  • erstaunlich pointierte und teilweise selbstreflexiv anmutende Passagen

Wenn es um die von Chippy eingangs definierte Art von Konflikten geht, die er von seiner Seite aus für mediierbar hält, verliert er sich in einer sehr allgemeinen Erklärung von Konflikt. Diese Definition trifft wohl auf jede Form von Konflikt zu und bietet sich nicht wirklich als Unterscheidungsmerkmal für Konfliktarten an. Da bleibt er sehr an der Oberfläche. Gleiches gilt für die Antwort auf meine letzte Frage, welche Art von Konflikten er am liebsten mediieren möchte. Auch hier ist sein Text schablonenhaft und vereinfachend, was sich auf die Art von Konflikt und seine Einschätzung von Konflikten am Arbeitsplatz ungünstig überträgt.

Immer wieder verfällt die KI in eine lexikalische Darstellungsform, wie zum Beispiel bei der Aufzählung und Erklärung einiger Prinzipien der Mediation und der Unterscheidung der Begriffe Neutralität und Allparteilichkeit. Das stört den natürlich anmutenden Gesprächsfluss, gleichzeitig liefert es jedoch im Stakkato-Stil proaktiv, von meiner Seite nicht abgefragte, wichtige Informationen und Lernmöglichkeiten.

Das AHA-Moment

Das größte Überraschungsmoment findet für mich direkt zu Beginn der Unterhaltung statt, als Chippy humanoid selbstreflexiv anmerkt, dass seiner Fähigkeit, als Mediator tätig zu sein, dort Grenzen gesetzt sind, wo es um das Einbeziehen von Körpersprache in die Lesbarkeit des Gegenübers und der Konfliktdynamik geht. Wir wissen unter anderem durch Paul Watzlawicks Axiome, dass sich Kommunikation und damit auch Konflikte nicht nur auf der Sachebene abspielen, sondern parallel ebenso auf der Beziehungsebene. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Axiom 2 und 4.

Die 5 Axiome Paul Watzlawicks

Literaturhinweise:

Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien

Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson

Hogrefe 2017 (13. Auflage)

324 S.

 

https://www.paulwatzlawick.de/axiome.html

Die Beziehungsebene definiert maßgeblich unsere Kommunikation und den Transport von Emotion. Der Beziehungsaspekt wird via Mimik, Gestik und Tonfall vermittelt und bestimmt die Sachebene. Wie diffizil die Deutung der Körpersprache sein kann, und wie wichtig, weiß jeder, der selbst schon einmal sein Gegenüber falsch eingeschätzt hat oder selbst falsch platziert wurde. Dass eine KI daran naturgemäß scheitern wird, umschreibt Chippy nicht uncharmant mit seinem Arbeitsumfeld, das ein digitales sei.

Die Übermittlung von Information auf nonverbaler Ebene passiert wesentlich schneller als auf verbaler und hat ein großes Mitspracherecht im Miteinander. 0,3 bis 7 Sekunden braucht es z.B. durchschnittlich für den ersten Eindruck. Und ob nun, je nach Forschungsergebnis, 50% oder bis zu 93% via Körpersprache, Mimik, Gestik vermittelt wird, ist abstrakt gesehen nicht relevant. Es zeigt in jedem Fall, dass die nonverbale Kommunikation ein mächtiger Transmitter ist.

Die Deutung von Körpersprache beeinflusst die Kommunikation und die Einschätzung des Gegenübers und hat damit positive wie negative Folgen auf die Wahrnehmung des anderen und die Beziehung zu ihm. Wie bewusst oder unbewusst diese Prozesse ablaufen, ist ein weiteres spannendes Thema. Dazu könnte die KI sicherlich wieder tragfähige Informationen liefern, selbst agieren in diesem Spektrum könnte sie wiederum nicht.

Fazit

Wie tragfähig letztendlich auch die einzelnen Informationen sind, gilt es bei aller Spielerei im Ernstfall ebenfalls zu prüfen. Ein wichtiger Punkt, auch in Gesprächen mit Chippy zu anderen Themen, ist, dass der Gehalt an Richtigkeit der Aussagen eine gewisse Schwankungsbreite aufweist. Denn letztendlich waren Chippys Aussagen zur Lösungsfindung im Rahmen einer Mediation per Definition nicht korrekt. 

Unabhängig von Ausprägung und Ursache wird dieses Phänomen des Hervorbringens von Falschinformation als KI-Halluzination bezeichnet:

Halluzinationen im Zusammenhang mit KI beziehen sich auf von einem KI-Modell generierte Inhalte, die zwar realistisch erscheinen, aber von den vorgegebenen Quelleninputs abweichen.”

Auffallen kann dies jedoch nur, wenn man sich in der Thematik auskennt und vorher darum weiß. Ansonsten ist es ratsam, zur faktischen Absicherung anschließend andere Quellen heranzuziehen. Daher ist es umso erstaunlicher, dass die KI im Gegensatz zum eigentlich leicht zu wissenden Fakt Lösungsfindung in der Mediation sehr zielsicher seine Schwachstelle im wesentlich diffuseren, nicht eindeutig festgelegten Bereich der Interpretation von Körpersprache benennt.

Für mich gilt auch hier: mit Sinn und Verstand kritisch an das Gesagte herangehen und sich mit den Möglichkeiten im negativen wie positiven Sinn auseinandersetzen. Wie es im humanen Bereich den menschlichen Faktor gibt, der fehlbar ist und für Überraschungen sorgen kann – mit Risiken und Chancen wohlgemerkt -, gibt es im KI-Bereich noch einen artifiziellen und humanoiden Faktor, der es ebenfalls ist. Damit ist die KI in ihrem Wesen im Moment vielleicht noch menschenähnlicher als sie es in Zukunft, unabhängig von der äußeren Nachbildungen in mechanischer Form, einmal sein wird.