Der Wert einer Entschuldigung: Teil II
Von Kerstin Maria Huber
Der Weg zur Entschuldigung ist ein Weg aus der eigenen Komfortzone – die Sache wird langsam attraktiv
Warum ist es oft so schwer, die Entschuldigung in ihrem Wert anzuerkennen und nicht als Worthülse, sondern als ernst gemeinte Bitte zu formulieren?
Fehlt Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit, so wird es dem Anderen bewusst oder unbewusst auffallen und der Akt wertlos. Für beide Seiten. Es hat sicherlich viel mit Scham zu tun, mit der durch Stärke und Relativierung überspielten Scham des Verursachers und der des Beeinträchtigten und Verletzten, des Beschämten.
Es hat mit „sozialen Institutionen und gesellschaftlichen Interaktionsformen, welche systematisch auf Berechnung und Abrechnung hin angelegt sind… [zu tun]. In einer Gesellschaft, deren dominanter Interaktionsmodus der Wettbewerb ist und die infolgedessen die Subjekte in nahezu allen Lebenssphären unter Optimierungsdruck setzt…” (Rosa, S. 361) kann die Bitte um Entschuldigung als eine vermeintliche Schwäche und ein Nachteil angesehen werden.
Immerhin gibt der Eine damit nicht nur eine Normverletzung oder einen von ihm angerichteten Schaden zu, sondern kehrt das Machtverhältnis um, indem er dem Anderen die Kontrolle darüber gibt, ob er ihn ent-schuldigt oder eben nicht.
Verantwortung für eine eigene Verfehlung zu übernehmen, erfordert Mut, auch Mut zur Selbstoffenbarung. Es erfordert ein gesundes Selbst-Bewusstsein, denn der Verursacher macht sich angreifbar, durchaus auch moralisch. Er zeigt mögliche Schwächen und überlässt dem Anderen die Entscheidung. Er steht zu seinem Tun oder Unterlassen.
Es braucht zudem ein gutes Maß an Selbstreflexion, zu erkennen, dass für den Anderen etwas wichtig und notwendig ist, was für einen selbst in vertauschten Rollen bei vergleichbarer Situation nicht notwendig wäre. Oder auch vice versa: dass bei vertauschten Rollen die Bitte um Entschuldigung für einen selbst tatsächlich genauso wichtig wäre. Beides ist denkbar.
Der Perspektivenwechsel und das Denken vom Anderen her erfordert Selbst-Bewusstsein. Es erfordert Mut, diesen Prozess einzuleiten, sich dem Anderen anzuvertrauen. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass der Andere nur annehmen kann, was man anbietet. So gesehen ist es auch eine Position der Stärke.
Wird die Entschuldigung nicht als Bitte ausgesprochen, die den Anderen aktiviert und in dessen Verantwortung nimmt, kann es zu keinem Dialog kommen, zu keiner Wechselseitigkeit, sondern endet in einer Einbahnstraße. All das ist natürlich einfach auch eine gute Möglichkeit, über sich und seine Begrenzung hinauszuwachsen, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich weiterzuentwickeln.
Zwischenfazit
Es geht also beim Prinzip und Wert einer Entschuldigung nicht darum, eine Struktur der Schuld zu etablieren oder ein sich verfestigendes Machtgefälle von Bittsteller und Erlöser oder Verursacher und Opfer.
Denn bittet die eine Seite nicht, behält sie die Macht – zumindest vermeintlich. Es ist keine wirkliche Position der Stärke, Mut und Selbst-Bewusstsein drücken sich darin nicht aus. Nimmt die andere Seite nicht an, so kann es aber auch hier zu einer Machtverschiebung kommen, die sich allerdings besser leben lässt, weil im letzteren Fall eine grundsätzliche Übernahme an Verantwortung durch den Verursacher und damit ein Herstellen von Augenhöhe stattfindet.
Ob Normbruch oder Verantwortungsübernahme, der Bitte um Entschuldigung geht eine Schädigung und Verletzung des Anderen auf die ein oder andere Weise voraus und damit ein Konflikt. Das macht den Wert einer Entschuldigung zwar noch zu keinem ‘Muss’ für einen Mediationsprozess, so doch aber zu einem starken Momentum, das sehr vieles bewegen und verändern kann.
Mediation fragt nicht nach Schuld! – Warum es sich lohnt, diese Position anders zu denken
Wenn ich den Wert einer Entschuldigung für eine Mediation fruchtbar machen möchte, dann darf Schuld nicht als rosa Elefant im Raum behandelt werden. Erfahrungsgemäß ist ein Konflikt ohne Schuldzuweisungen eine eher ungewöhnliche Spezies. Auch wenn Mediation ihren Prinzipien nach zukunftsorientiert ist und nicht, wie z.B. das Gerichtsverfahren, die klassische Schuldfrage stellt, so ist ein Blick zurück wichtig, um das Jetzt und die Medianden besser zu verstehen.
Nicht nach Schuld zu fragen, sich aber damit zu beschäftigen, was den Konflikt ausgelöst hat und ihn nährt, welche Bedürfnisse und Interessen im Hintergrund eigentlich wirken und an welchen Stellen eine (Norm-)Verletzung stattgefunden hat, ist essentiell für das Gelingen des Prozesses.
So wie die Klienten in der Mediation ihre Lösungen unter der Anleitung der*die Mediator*in selbst herausarbeiten, so geht es auch darum, eine hohe Eigenverantwortlichkeit für den Prozess und das eigene Tun wahrzunehmen oder zu entwickeln. Auch das ist eine Art von Handlungsfähigkeit.
Jede*r Mediand*in soll den Raum und die Unterstützung bekommen, zu erzählen, zu reflektieren, sich und die Situation mit ihren tieferen Ebenen besser zu verstehen. Denn das ist die Basis dafür, das Jetzt zu klären und den Perspektivenwechsel zu vollziehen, sprich den Anderen und sein System zu erkennen und zu verstehen.
Und wie immer gilt auch hier der Satz: Verstehen heißt nicht einverstanden sein! Das Verstehen bildet aber die optimale Grundlage dafür, eine gemeinsame oder getrennte Zukunft zu verhandeln und zu begreifen, um was es dem Einen und dem Anderen im jeweiligen System eigentlich geht (siehe dazu auch das Eisbergmodell)
Diese Dynamik in der Mediation wird im sogenannten Ersten und Zweiten Fenster des Verstehens nach Gary Friedman und Jack Himmelstein abgebildet und stellt eine wichtige Zäsur im Verlauf des Prozesses dar, wie wir eben gesehen haben: Zuerst werden sich die Medianden bewusst darüber, was eigentlich für sie selbst, auch und besonders auf der essentiellen Ebene der Bedürfnisse und Interessen, wichtig ist (Autonomie und Selbstbehauptung); anschließend kann davon ausgehend diese Reflektion auf den Anderen übertragen werden. Daran zeigt sich, ob die Medianden dies auch jeweils für die andere Partei sehen und nachvollziehen können (Wechselseitigkeit und Gemeinsamkeit). Das ist ein gelebter Perspektivenwechsel.
Wir existieren im Miteinander nicht nur auf der Sachebene, sondern vor allem auch auf der Beziehungsebene. Das Adressieren und der Kontakt zu den eigenen Gefühlen und Emotionen und zu denjenigen des Anderen ist oft mit großen Hemmschwellen und Berührungsängsten verbunden.
Die zweieiigen Zwillinge Zuweisung von Schuld und Wunsch nach Entschuldigung – magisches Denken in Aktion?
Ein organischer Teil vieler Konflikte ist die Suche nach dem Auslöser und nach der Schuld, ferner die Zuweisung von Schuld. Dies passiert freilich auch, weil sich dadurch der Konflikt vermeintlich einfach lösen und das eigene Im-Recht-Sein bestätigen ließe. Dass die Realität nun anders aussieht, lässt sich täglich beobachten und entspricht zudem nicht dem Selbstverständnis einer Mediation.
Dennoch ist aus Sicht der Parteien der Wunsch nach Schuldklärung absolut begreifbar, auch um sich der eigenen Position und des eigenen (moralischen) Selbstverständnisses zu versichern. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit geht damit oft einher.
Gleichzeitig scheint der Wunsch nach einer Entschuldigung der zweieiige Zwilling der Zuweisung von Schuld zu sein. Es ist ein Phänomen, das ich über die Jahre auffällig oft im Privaten wie Beruflichen beobachtet und vermehrt in den letzten Monaten aktiv aus Recherchezwecken gesucht habe: In mehreren Gesprächen zu privaten oder beruflichen Konflikten, teilweise nach langen Ausführungen der Betroffenen, ist häufig deutlich geworden, dass neben all den genannten Positionen, das Bedürfnis nach einer Entschuldigung ein sehr großes war.
Das berührt die emotionale Ebene: das Anerkennen von eigenen Verletzungen und des persönlichen Schadens durch die andere Person. Das sind immer wieder Dinge, die auf der Beziehungsebene jeden Konflikt nicht selten maßgeblich tragen und am Leben erhalten.
Dieser Wunsch war unabhängig davon, wie lange, wie tief und wie eskaliert der jeweilige Konflikt war. Nicht immer haben es die Erzählenden von sich aus so formuliert oder waren sich dessen überhaupt bewusst. Deshalb habe ich im Verlauf der Gespräche irgendwann sehr direkt gefragt:
„Was würde passieren, wenn der*die Andere dich/Sie einfach einmal um Entschuldigung bitten würde, auf eine Art und Weise, so dass du/Sie ihm*ihr glaubst/glauben? Würde das etwas für dich/Sie verändern?”
Fast immer war eine kurze Irritation wahrnehmbar, weil es oft nicht in den gerade erzählten Kontext oder die Verteidigung der eigenen Positionen und Interessen passte. Und fast immer war anschließend die Antwort ihrem Sinn nach:
„Dann wäre es ok. Dann kann er*sie gerne dieses und jenes behalten. Denn das ist eigentlich gar nicht so wichtig. Mir ist viel wichtiger, dass der Andere sieht, was passiert ist und was das für mich bedeutet.”
Oder
„Das würde einiges ändern, das wäre respektabel. Er*Sie erkennt ja dann den Schaden an, und wir verlieren beide nicht unser Gesicht. So könnte man tatsächlich über eine Zusammenarbeit weiter nachdenken.
Oft ist dieser Wunsch mit dem Wunsch nach Ruhe verknüpft, um endlich mit etwas abschließen und sich anderem zuwenden zu können. Ehrlicherweise ist aber nach diesem kurzen gedanklichen Ausflug immer wieder der Satz gefallen, dass mit einer Entschuldigung sowieso nicht zu rechnen sei, das würde nicht passieren.
Ob das nun so wäre oder nicht, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Konfliktverhärtungen, die vielleicht noch dazu schon über einen längeren Zeitraum bestehen, mit einer einzigen Frage so schnell aufzulösen, fällt nun eher in die Kategorie mediatives (magisches) Wunschdenken. Auch das ist nachvollziehbar. Dennoch kann mit Unterstützung von Außen die Bitte um Entschuldigung vom Bereich des Unmöglichen in den Bereich des Möglichen übersiedeln.
Von Bedeutung an dieser Stelle ist nun aber, dass die Bitte um Entschuldigung offensichtlich großen positiven und vor allem instantanen Einfluss auf die Konfliktdynamik und die Konflikthaltung der Parteien haben kann. Es birgt die Möglichkeit, sich dem Anderen gegenüber zu öffnen und fördert so ein kooperatives Miteinander.
Die Bitte um Entschuldigung: der heilige Gral in der Mediation?
Nein, sie kann und sollte es nicht sein. Auch in einer Mediation kann eine Entschuldigung nicht erzwungen werden, sondern höchstens durch die Mediator*innen gefördert werden. Bitte und Annahme müssen autonom geschehen, ganz im Sinne eines der wichtigsten Prinzipien der Mediation: Freiwilligkeit.
Außerdem „bemisst sich das Erfolgspotential einer Entschuldigung an ihrer Erwartungsentsprechung, … Für den Einsatz einer Entschuldigung als soziales Instrument bestehen verschiedentlich Hürden und Fallstricke, die insbesondere in der jeweiligen Kultur oder der Vertretung durch Dritte bestehen können. … [Ein formeller Erfolgsfaktor, der besonders hilfreich ist, ist] das Versprechen, eine Normabweichung in der Zukunft zu unterlassen …, da es Vertrauen in zukünftiges normkonformes Verhalten des Schädigers fördert. Der Versuch einer Wiedergutmachung sollte mit Blick auf die Erwartungsentsprechung nicht nur in einer Kompensation bestehen, sondern verdeutlichen, dass die Wertevorstellungen der anderen Partei akzeptiert und bestätigt werden.” (Duhnkrack, S. 34)
Bereits in Phase 2 bei der Themenfindung lassen sich über das Betrachten der einzelnen Positionen mögliche Schuldzuweisungen und damit die Essenz einer möglichen Entschuldigung herausfiltern. Es sind diese neuralgischen Punkte, die auf Normverletzung und persönliche Verletzungen und damit bereits in Richtung Interessen und Bedürfnisse verweisen.
In Phase 3 bei der Herausarbeitung eben jener Interessen und Bedürfnisse und mit den Perspektiven der beiden Fenster des Verstehens kann der Boden für eine Entschuldigung bereitet werden. Sich Verstehen, den Anderen verstehen, Motive und Bedürfnisse bei sich und dem Anderen erkennen, das alles hilft. Das hilft dabei, das, was ist, als Schaden für den Anderen wahrzunehmen und in der Bitte um Entschuldigung ihn und seine (Werte-)Maßstäben anzuerkennen.
Ein großer Vorteil dieser Sequenz ist, dass sie immer geschehen kann – unabhängig davon, ob der Verursacher tatsächlich in der Verantwortung steht oder nicht. Denn „liegt eine persönliche Verantwortung nicht vor, kann das Ausräumen einer entsprechenden Schuldzuweisung durch eine Neubewertung der Verantwortlichkeit und durch überzeugende Rechtfertigung gelingen.” (Duhnkrack, S. 65)
Hinsichtlich des Vorfalls bzw. der Schuldposition sind also die Perspektiven beider Parteien erforderlich und die subjektive Wahrnehmung jedes Einzelnen, um den Raum für Verständnis, Klärung oder auch Heilung zu schaffen. Daran knüpft die Erwartung des Geschädigten an.
Die Bitte um Entschuldigung wird letztlich am meisten Erfolg haben, wenn sie eine Deckung oder zumindest eine gewisse Schnittmenge mit den Erwartungen des Adressaten aufweist. Im Einzelfall könnte sie sogar in Phase 4 und 5 zu einer konkreten Lösungsidee transformiert werden.
Wie erwähnt, muss der andere die Bitte nicht annehmen, auch dies geschieht freiwillig. Verweigert er die Annahme, so erfährt der Bittende keine Befreiung von seiner Last und der Kreis schließt sich nicht. Duhnkrack plädiert dafür, dass „auf eine erfolglose Entschuldigung erneut in die Bearbeitung der Schuldfrage eingestiegen werden muss. In letzterem Fall bietet sich ein Einstieg über die Relativierung von Wertemaßstäben als Kern des Gerechtigkeitsdilemmas an.” (S. 76)
Meiner Ansicht nach kann dies ein Weg sein, muss es aber nicht zwingend. Es können auch Konstellationen entstehen, Werte vorhanden sein, in denen dieser Zustand schlichtweg ausgehalten werden muss und trotzdem der Prozess zu einer Lösungsvereinbarung führen kann. Die Bitte um Entschuldigung ist in der Mediation, wie betont, kein festgeschriebenes Ziel und keine Grundbedingung. Sie ist kein zwingendes Muss, sondern ein wertvolles Kann.
Wenn schon kein Zaubergefäß, so doch ein Werkzeugkoffer mit magischem Potential
Methodisch lassen sich aber einige Werkzeuge skizzieren, mit denen ein*e Mediator*in den Weg zur Bitte um Entschuldigung fördern und den Wert einer Entschuldigung sichtbar machen kann. Wie bereits erwähnt, sind das gegenseitige Verstehen und der Perspektivenwechsel die angestrebten Ziele: Denn zu verstehen, warum sich der Andere so verhält und handelt, erleichtert das Bitten wie das Annehmen.
Wie immer ist das Stellen von Fragen eines der effektivsten Hilfsmittel.
Die Frage nach konkreten Konfliktpunkten, die einen Verweis auf norm- oder werteabweichendes Verhalten und damit auf einen möglichen Entschuldigungsgrund geben können:
„Können Sie an einem konkreten Beispiel erzählen, wo sich das für Sie gezeigt hat?”
„Welche konkrete Situation fällt Ihnen dazu aus den letzten Wochen/Monaten ein?”
Die oben bereits erwähnte ‘Entschuldigungs-Wunderfrage’:
„Was würde passieren, wenn x Sie einfach erst einmal um Entschuldigung bitten würde, auf eine Art und Weise, die für Sie ehrlich und glaubwürdig ist? Würde das etwas für Sie verändern?”
Oder in abgewandelter Form an die andere Partei gestellt:
„Was würde es in Ihnen auslösen, wenn y Ihre Bitte um Entschuldigung annehmen würde?
Zirkuläre Fragen:
„Wie würden Kollegen/Freunde/Familie/etc. von außen die Sache wahrnehmen?”
„Was glauben Sie, war das Schlimmste daran für xy?”
„Was denken Sie, wünscht sich xy (bezogen auf den Vorfall/den Konflikt/im Verhältnis zueinander)?“
„Wer von Ihnen hätte den größten Nutzen von einer Entschuldigung?”
Gerade bei zirkulären Fragen würde sich die Kombination mit der Methode des Stuhlwechsels anbieten, um einen Perspektivenwechsel nicht nur auf kognitiver Ebene anzuregen, sondern auch körperlich erfahrbar zu machen.
Irritierende Fragen:
„Was müsste xy tun, um die Bitte um Entschuldigung so richtig gegen die Wand zu fahren?”
„Wie würden Sie selbst im vorliegenden Fall die Bitte um Entschuldigung an sich formulieren, dass Sie sie annehmen können?”
Skalierende Fragen:
„Auf einer Skala von 0 bis 10: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass x Sie um Entschuldigung bittet/dass y Ihre Bitte um Entschuldigung annimmt?”
Und immer wieder das Pendeln zwischen den Parteien und das Stellen von Rückfragen, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten (inklusive der*die Mediator*in) sich gegenseitig wirklich verstanden haben:
„Was haben Sie verstanden, was x gesagt hat? Bitte wiederholen Sie das eben Gehörte. Später, wenn Sie erzählen, tausche ich die Rollen.”
Das Pendeln fördert die Empathie der Parteien, Empathie fördert wiederum das gegenseitige Verstehen, das gegenseitige Verstehen wiederum ist, wie bereits mehrmals ausgeführt, eine Grundbedingung für den Vorgang Entschuldigung.
Bei dieser Zusammenstellung von Fragen, die sich natürlich erweitern ließe, wird deutlich, dass nicht jede Frage direkt von Anfang an gestellt werden kann. Teilweise machen sie erst Sinn, wenn bereits das Konzept Entschuldigung sozusagen in der Luft liegt.
Verfrüht gefragt, kann es zu blockierenden Irritationen oder Abwehrhaltungen kommen, die dem Prozess schaden. Der Eindruck z.B. durch Schuldzuweisung oder Entschuldigungserwartung in eine Täter- oder Opferrolle gedrängt zu werden, kann Widerstand und Konfliktverschärfung erzeugen. Gerade auch dann, wenn vielleicht noch kein Vertrauen (wieder) aufgebaut ist.
Besonders Fragen nicht linearer Art können zudem ein mächtiges Interventionswerkzeug sein und sind nicht frei von manipulativen Potentialen. Sie sollten also mit Bedacht und nicht ständig verwendet werden.
Nichts erzwingen wollen, die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt stellen und sensibel sein gegenüber der Instrumentalisierung der Entschuldigung als Machtmittel – von beiden Seiten –, sind wichtige Koordinaten im Navigationssystem von Mediator*innen.
Kreativtechniken wie das Storytelling oder der Einsatz von Farbe und Malaufgaben wie das Farbengespräch oder der Kampf der Farben seien hier vor der Entschuldigungsgrundlage der Perspektivenklärung und des -wechsels nur kurz erwähnt:
Über eine Stellvertretergeschichte gelingt die Selbstbetrachtung oft leichter, weil der Fokus verschoben wird, und sich die Medianden nicht im direkten Scheinwerferlicht befinden. So kann es einfacher sein, Dinge zu reflektieren, weil die Abwehrhaltung zu einem ‘direkt angesprochen werden‘ nicht greifen muss.
Das Malen kann dabei helfen, die verschiedenen Wirklichkeiten, Wahrnehmungen (allgemein wie Momentaufnahme) und Beziehungsdynamiken sehr einfach zu visualisieren und deutlicher zu machen, als es bisweilen über den kognitiven Weg gelingt. Die Chance, dass Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten illustriert und ganz anders greifbar gemacht werden, ist eine großartige.
Hilfreich können auch Einzelgespräche sein, die mit beiden Parteien geführt werden. Es schafft nochmals einen vertraulicheren Rahmen, in dem konkrete Schuldzuweisungen und Erwartungshaltungen leichter geäußert und damit vom*von der Mediator*in zur Informationsgewinnung genutzt werden können. Es kann anschließend leichter fallen, den Standort der Parteien zu verorten und abzuschätzen, inwiefern die Bitte um und der Wert einer Entschuldigung überhaupt eine Rolle spielen oder zum jetzigen Zeitpunkt realisierbar erscheinen.
Fazit und Ausblick
Letztendlich will sich der Einzelne immer mit seinen Themen und Anliegen wahrgenommen und verstanden fühlen. Das gilt für die Mediation, aber das gilt ganz einfach auch für den Alltag im Privaten und Beruflichen. Über den Tellerrand zu schauen, finde ich persönlich grundsätzlich enorm attraktiv.
In diesem Fall heißt das für mich: Das vorgestellte Konzept der Entschuldigung und dessen Einsatz im strukturierten Verfahren der Mediation ist für mich von hohem Wert. Gleichzeitig frage ich mich aber auch hier, was dieser Akt, dieser einzelne Baustein, vielleicht auch dieses einzelne Werkzeug Bitte um Entschuldigung losgelöst vom Verfahren und mehrstufigen Prozess einer Mediation im Alltagsgeschehen bedeuten und bewirken kann – Stichwort: Resonanzraum.
Dies anhand von drei konkreten Situationen aus meiner privaten wie beruflichen Erfahrungswelt beispielhaft abzubilden, wird u.a. der Inhalt von Teil III und damit des letzten Teils meiner Betrachtungen zum Wert einer Entschuldigung sein. Am Ende stelle ich mir dann nochmals die Frage, ob das alles wirklich so sein muss, ob es nicht eine taugliche Alternative zu dieser potentiell sperrigen und sperrenden Wendung geben könnte. Ich denke, ja/nein/vielleicht… es kann!
Weiterführende Literatur:
Justus Duhnkrack: Entschuldigung in Gerichtsverfahren und Mediation. 2020 (Viadrina-Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement, Bd. 18). Frankfurt am Main: Wolfgang Metzner Verlag.
Joseph Duss-von Werdt: Einführung in die Mediation. 2. überarbeitete Auflage 2011 (2. überarbeitete Auflage. (Reihe: Carl-Auer Compact). Heidelberg: Carl-Auer.
Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen. 5. Auflage 2021 (Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2272). Berlin: Suhrkamp.