cropped-schwarz-minimalistisch-Soloenterpreneur-Logo.png

Das Prinzip der Vertraulichkeit in der Mediation

Von Kerstin Huber

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Ist es das? Und was hat das Ganze mit Vertraulichkeit in der Mediation zu tun?

Vertraulichkeit ist einer der wichtigsten Punkte aus dem Prinzipien-Katalog der Mediation. Vertraulichkeit bedeutet, dass alles, was in einer Mediation zur Sprache kommt und alles, was sich während des Prozesses ereignet, grundsätzlich nicht den Ort des Geschehens verlässt. Dieses Prinzip ist nicht verhandelbar, weil es den geschützten Rahmen garantiert, innerhalb dessen sich die Medianden frei bewegen und entfalten können. Die Medianden sollen und dürfen sich mit ihrem Anliegen und als Menschen in einer herausfordernden Situation sicher fühlen. Das ist von essentieller Notwendigkeit, wenn es darum geht, herauszufinden, was hinter den Positionen und Verhärtungen liegt, um was es eigentlich bei dem jeweiligen Konflikt geht. Selten ist es das, nach was es auf den ersten Blick aussieht. Verhandelbar ist allerdings, wie genau die Vertraulichkeit im individuellen Fall geregelt werden soll. Es gibt gerade für die Medianden einen Spielraum, wie sie das Prinzip ausgestalten möchten. Das ist eine der ersten Aufgaben, die den Konfliktparteien zufällt, denn sie bildet die Basis jeglicher Zusammenarbeit zwischen den Medianden und zwischen ihnen und dem Mediator.

Für den Mediator ist die Haltungsfrage dahingehend eindeutig. Er wird alles Gesagte und Gesehene vertraulich behandeln, nichts nach außen tragen oder gar Persönlichkeits- und Identitätsrechte verletzen. Sollte er sich über den Streitfall und das Verfahren mit einem Kollegen beraten oder eine Supervision wahrnehmen, wird er das immer offenlegen und direkt kommunizieren. Diese Formen des Austausches können bisweilen den Prozess positiv unterstützen und sind zudem eine weitere Qualitätskontrolle. Sollte es z.B. im beruflichen oder wirtschaftlichen Kontext einen Auftraggeber geben, so wird dieser zwar über das Ergebnis der Mediation in Kenntnis gesetzt, aber nicht über die Inhalte der einzelnen Gespräche oder der Abschlussvereinbarung, außer es wird anders im Konsens beschlossen. Gleichzeitig darf eine Mediation auch keinerlei arbeitsrechtliche Konsequenzen, wie z.B. einen Eintrag in die Personalakte, nach sich ziehen. Das kann auch in der Mediationsvereinbarung zu Beginn des Verfahrens schriftlich festgehalten werden, um an dieser Stelle nochmals den sicheren Raum zu unterstreichen. Wird der Auftraggeber für die Umsetzung bestimmter Lösungsschritte benötigt, weil nur er beispielsweise die entsprechende Entscheidungskompetenz besitzt, werden das Mediator:in und Medianden im Einzelfall erörtern und mit dem Auftraggeber entsprechend klären.

Für die Konfliktparteien erweitert sich der Spielraum, wie sie das Prinzip handhaben wollen, sprich, mit wem sie außerhalb der Mediation über den Fall reden und sich austauschen wollen. Sei es der Partner, die Kinder, ein Freund, eine Freundin, der Kollege oder eine andere vertraute Person. Wichtig hierbei ist nur, dass dieser definierte Personenkreis ein fixierter ist, der sich selbst ebenso an die von den Medianden gemeinsam definierten Grenzen der Vertraulichkeit hält und nicht seinerseits Inhalte weiterträgt, und somit ein indiskreter Dominoeffekt entsteht. Auch dieser Punkt wird beim Sprechen über das Prinzip der Vertraulichkeit offen vom Mediator:In adressiert und in die Absprache einbezogen. Das Bedürfnis, sich über den eigenen Konflikt und auch über das Geschehen in der Mediation austauschen zu wollen, ist für mich ein nachvollziehbar menschliches. Meist leben die Parteien mit ihrem Konflikt schon eine Weile und ein Sprechen über selbigen kann ein essentieller Teil der eigenen Psychohygiene sein, Rückhalt geben und im besten Fall die angeregte Selbstreflexion im Verlauf fördern.

Für mich persönlich ist aus formaler Sicht durchaus relevant, dass die Medianden der gemeinsam festgelegten Form der Verbindlichkeit auch verbal deutlich zustimmen und z.B. nicht nur zustimmend nicken. Damit erhöht sich für mich die Verbindlichkeit, auf die ich mich auch während der Mediation rückbeziehen kann. Ferner höre nicht nur ich das anerkennende ‚Ja‘, sondern auch die andere Konfliktpartei. Dadurch, dass ich als Mediatorin vorab dafür Sorge getragen habe, dass sich alle Beteiligten auf der gleichen Verständnisebene befinden, beuge ich zudem Missverständnissen vor. Sollte der Eindruck entstehen, dass eine Partei der Abmachung oder dem Gesprächskreis der anderen Partei gegenüber Bedenken hat, dann gilt es hier nachzufragen, gerne auch mehrmals, um Klarheit zu erreichen. Der Rahmen der Vertraulichkeit wird so lange verhandelt, bis er für jeden Medianden passend ist. Gelingt dies am Anfang nicht, so fehlt eine wichtige Basis für die Mediation.

Vertraulichkeit im medialen Zeitalter: Ein kleiner Exkurs

Vertraulichkeit klingt sehr vertraut und selbstverständlich, daher spielt es eine umso größere Rolle, im Gespräch genau zu definieren, wie jeder Beteiligte sie handhaben möchte, und was er überhaupt im Detail darunter versteht. Durch soziale Medien und Plattformen hat nicht nur die Bilder- und Informationsflut stark zugenommen, sondern auch die Offenlegung des Persönlichen und Intimen, sei es in privater oder auch beruflicher Umgebung. Diskretion ist hierbei nicht das erste Gebot. Das Netz wird zum vermeintlich privaten Fotoalbum, zur Werbefläche und zum Wohnzimmer mit Tag der offenen Tür, und das nicht selten 24/7. Ein bisschen erinnert es mich immer wieder an das Auto-Fahrer-Phänomen: sitze ich in meinem Auto, sehe ich zwar alle, aber mich sieht natürlich keiner… z.B. ungehemmt gähnen, in der Nase bohren oder laut mitsingen. Die Bühne, auf der ich mich eigentlich befinde, ist nicht immer freiwillig gewählt oder wird bewusst wahrgenommen. Der Grad von der kreativen Selbstdarstellung zur Selbstentblößung ist nicht selten ein schmaler. Der Mensch ist in den meisten Fällen ein soziales Wesen, das sich durch Gruppenzugehörigkeit definiert und gleichzeitig abgrenzt. Sich zeigen zu wollen, ob im Mit oder Gegen, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis, es ist auch ein Suchen nach Verbindung und Gemeinschaft in potenzierter Form. Die Art und Weise wie ein Mensch im sozialen Netzwerk unterwegs ist, wirkt sich auch auf seinen Alltag und sein reales Leben und Verhalten aus. Wie populär oder gut vernetzt eine Person in den sozialen Netzwerken ist, kann daneben auch einen Effekt darauf haben, wie schnell und weitreichend Informationen gestaltet und weitergegeben werden (können).

Es wird rascher freier und auch grenzüberschreitender agiert, dadurch, dass direkter Kontakt und Austausch fehlen. Der Spiegel im Anderen und das reale Auseinandersetzen mit dem Anderen und seinen entsprechenden Reaktionen in Wort, Mimik und Gestik fallen weg. Konsequenzen fehlen oder werden in eine abstrakte Virtualität verlagert, so dass der Handelnde sozusagen im luftleeren Raum und ohne soziale Abgleichung oder auch Kontrolle agiert. Die Referenz fehlt und damit ein unterstützendes Navigationsmittel im Mit- und Gegeneinander. Die unmittelbare Reaktion des Gegenübers ist nicht möglich. Allein der eigene mehr oder weniger ausgebildete innere (Werte-)Kompass bleibt zur Orientierung. 

Jeder findet durch die digitale Vernetzung nun viel einfacher und schneller und im größeren Umfang Gleichgesinnte, Bewunderung und auch Ablehnung ohne die im Alltag übliche Modifizierung einer analogen, physisch inhomogenen Gruppe oder eines entsprechenden Kontexts wie z.B. einer Dorf-, Stadt- oder anders gearteter Gemeinschaft. Das Virtuelle vermittelt trotz Reichweiten und Schnelligkeit nicht immer ein Gefühl des Offen-Legens. Die eigene Blase kann einen stetig und steigend bestätigen und trotzdem in der eigenen Wahrnehmung als vertraulicher hortus conclusus erscheinen, was sie jedoch nicht ist. Auch die Begegnung mit Neuem und Ungewohnten kann dabei ein Stück weit verloren gehen.

Vertraulichkeit ist eine ernst zu nehmende Sache, grundsätzlich und besonders in einer Mediation, die durch das oben beschriebene Phänomen und die Entwicklungen im digitalen und sozialmedialen Zeitalter deutlich angesprochen und abgesprochen werden muss. Sie war und ist nicht selbstverständlich, sondern ist durch das viel freier und offener gewordene Agieren im virtuellen Raum gefährdeter und essentieller als früher. Das Darstellen in einem abstrakten sozialen Medium kann bisweilen dem Weitererzählen hinter vorgehaltener Hand ähneln, nur um das 1000fache gesteigert. Die oben erwähnte Rückkoppelung des virtuellen Verhaltens auf das konkrete eigene Leben birgt somit die Gefahr dem Wert der Vertraulichkeit auch im realen Alltag nicht genug Achtung und Aufmerksamkeit entgegenzubringen.

Vertraulichkeit und Vertrauen mit einem Seitenblick auf ein weiteres wichtiges Prinzip: Eigenverantwortlichkeit

Laut Duden definiert sich das Wort Vertraulichkeit sowohl als „Diskretion“ wie auch „Vertrautheit“ und in einer zweiten Bedeutungsspähre als „aufdringliches, nicht genügend distanziertes Verhalten, als Zudringlichkeit”. Vertrauen bedeutet „festes Überzeugtsein von der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit einer Person, Sache“. Die zweite Bedeutungsebene des Wortes Vertraulichkeit spielt in dem vorliegenden Kontext natürlich keine Rolle. Vertraulichkeit und Vertrauen sind trotz Verwandtschaft und einer Art Gleichklang differente Begriffe. Doch dem Charakter der Mediation entsprechend, können sie auf diesem Wege als zwei Hände eines Körpers verstanden werden, die ineinandergreifen: 

Einigen sich die Medianden auf ihre persönlichen Vertraulichkeitseckpunkte, so definieren sie nicht nur den realen geschützten Raum, in dem sie sich während und auch außerhalb der Mediation bewegen. Auf der Metaebene haben sie zudem eine erste gemeinsame Einigung und Vereinbarung erzielt, und das zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Zu einem Zeitpunkt, an dem durchaus schon das Sitzen an einem Tisch schwierig sein oder auch nur die Basis für ein Miteinander fehlen kann, und daher die Unterstützung von außen gesucht wird. Das ist ein erster Erfolg, eine erste Einigung! Es stärkt und unterstreicht zudem ein weiteres wichtiges Prinzip der Mediation, das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit (dazu an anderer Stelle mehr). Niemand kennt den Konflikt in seinen Details und in seinem Kontext besser als die Klienten selbst. Lösungen, die sich daher vom Inneren heraus finden, sind tragfähiger und mehr als ein Kompromiss und damit vor allem nachhaltiger im Vergleich zu anderen Verfahren. Die Hand der Vertraulichkeit greift nun gleichzeitig auch beherzt nach der Hand des Vertrauens. Jeder der Beteiligten muss sich darauf verlassen können, dass die Anderen sich auch an die getroffene Abmachung halten. Das kann keiner der Akteure letztendlich kontrollieren, dazu braucht es Vertrauen. Wer Vertrauen in die Verbindlichkeit der Vertraulichkeit hat, braucht keine Kontrolle und macht damit Kapazitäten frei für das eigentliche Hauptunternehmen: Lösungen für den eigenen Konflikt zu finden, bei denen es nicht darum geht, wer recht hat, sondern wie tragfähig diese für die Zukunft sind. Damit steht das Gemeinsame vor dem Trennenden.