Rezension: Drei Kinderbücher zum Thema Gefühle

Von Kerstin Maria Huber

In dieser Rezension geht es um drei Kinderbücher für Kinder ab 3 bis 11 Jahren zum Thema Emotionen. Eigentlich geht es aber um das Kernelement der Mediation: um Bedürfnisse. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich in einer speziellen Situation um einen Konflikt handelt (siehe dazu auch die Rezension Drei Bilderbücher zum Thema Konflikt(lösung)) oder darum, zu verstehen, warum sich ein Kind so verhält wie es sich verhält, was es braucht oder sucht. Die Antwort darauf liegt häufig in den zugrunde liegenden Bedürfnissen. Sie bilden die Basis.

Der Zusammenhang von Gefühlen und Bedürfnissen

Ein zentraler Punkt in jeder Mediation ist das Erfragen und Herausarbeiten von Bedürfnissen. Denn erst wenn offen liegt, was hinter den jeweiligen Positionen bzw. Standpunkten und Sichtweisen liegt, was die eigentlichen Gründe für diese sind, kann an einer sinnvollen und nachhaltigen Lösung gearbeitet werden.

Selbst Erwachsenen fällt es immer wieder schwer, ihre Bedürfnisse einfach so zu benennen. Daher unterstützen Mediatoren verstärkt genau an dieser Stelle. Bei Kindern, zumal kleineren, ist dies nochmal eine ganz andere Herausforderung. Klassische Fragetechniken oder schon allein das Wort Bedürfnis sind als Begriff und Konzept oft noch zu komplex und abstrakt, um verstanden und beantwortet werden zu können.

Daher bietet sich in diesem Fall der Zugang über die Emotionen an. Warum? Gefühle kann man sich als eine Art Vorschaltstufe auf dem Weg zu den Bedürfnissen vorstellen. Empfindet jemand beispielsweise Wut, so kann das mehrere Gründe haben: z.B. weil derjenige sich überfordert, ungerecht behandelt oder bedroht fühlt. Die Chancen stehen also gut, dass ein (starkes) Bedürfnis nach Klarheit und Entlastung/Entspannung besteht, nach Wertschätzung und Gerechtigkeit oder nach Sicherheit. Das kann einfacher erfragt und schließlich noch weiter eingegrenzt und kindgerecht aufbereitet werden. Damit lässt sich wesentlich besser arbeiten, als mit der Wut an sich.

Über das Erkennen zum Benennen zum Verstehen

Nun sind aber Emotionen, das Erkennen und Benennen, das Einordnen und Verstehen, was da gerade in einem passiert, kein Selbstläufer bei kleinen oder kleineren Kindern. Das unterliegt einem eigenen Entwicklungstempo und der jeweiligen Gefühlsumgebung, in der sie aufwachsen. Die drei Kinderbücher, die wir in dieser Rezension vorstellen, wollen dahingehend unterstützen und zeigen, dass Kinder ab einem frühen Alter spielerisch an das Thema herangeführt werden können.

Sie lernen somit früh, dass es eine Vielzahl an Gefühlen und emotionalen Nuancen gibt, die über Freude, Wut und Traurigkeit hinausgehen. Sie lernen sich selbst besser kennen und Unterscheidungen vorzunehmen und diese auch auszudrücken. Letztendlich ist der Weg über die Gefühle nicht nur ein Weg hin zu den Bedürfnissen, sondern gleichzeitig ein Weg hin zu mehr Selbstwahrnehmung und zu mehr Kommunikationsfähigkeit. Und all das kindgerecht und so gut umgesetzt, dass auch Erwachsene Freude an diesen Büchern finden können.

Mies van Hout: Heute bin ich

Alter

Ab 3 Jahren

Inhalt

Es werden 20 unterschiedliche Gefühle gezeigt. Jede Emotion wird von einem Fisch dargestellt, was zunächst überraschen mag. Denn Fische sind jetzt nicht unbedingt die klassischen Tierprotagonisten, wenn es um Kinderbücher geht. Außer er heißt Nemo oder ist der Regenbogenfisch. Mit diesen beiden hat der Fischschwarm in Heute bin ich allerdings nicht viel zu tun. Es sind viele unterschiedliche Fischarten vertreten, und jedem Fisch ist ein Adjektiv zugeordnet. Beides bekommt jeweils seine eigene Seite, so dass sich Wort und Fisch gegenüberstehen, was den Fokus und die Intensität verstärkt. Die Fische sind wirkliche Typen, die man sich gut in einem Unterwasser-Berlin vorstellen könnte.

Illustrationsstil

Das Unkonventionelle, teils Freche findet sich direkt in der visuellen Ausgestaltung wieder. Jeder Fisch wird vor schwarzem Grund platziert, was für ein Kinderbuch mutig ist. Und großartig. Van Hout traut sich, mit der üblichen Farbpalette zu brechen. Auf der gegenüberliegenden Seite wird das Emotionsadjektiv auf sehr buntem, manchmal knalligem Grund platziert. Die Farben, die dort gewählt werden, finden sich im jeweiligen Fisch wieder und stellen damit eine zusätzliche Verbindung und Einheit her. Auch synästhetische Aspekte lassen sich andenken. Es wird mit Pastell und Wachs gearbeitet, was dem Expressiven, Skizzenhaften eine Weichheit und Knuffigkeit verleiht. Neben der jeweiligen Farbwahl setzt die Strichführung im Gestus das Gefühl direkt in Szene. So reduziert Mies van Hout hier auch arbeitet, es wird sofort klar, um welche Emotion es sich handelt. Die grafische Umsetzung ist an mehr als einer Stelle genial gelungen, so dass der Humor nicht zu kurz kommt – gleichgültig, ob es sich um den nervösen, wütenden oder verliebten Fisch handelt.

Was noch

Heute bin ich war 2013 für den renommierten Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.

Kathrin Schärer: Da sein. Was fühlst du.

Alter

Ab 3 Jahren

Inhalt

In diesem Bilderbuch sind es 30 unterschiedliche Gefühle oder auch Zustände, die Kindern nahe gebracht werden. Kathrin Schärer, die auch schon in der Rezension: Drei Bilderbücher zum Thema Konflikt(lösung) mit So war das! Nein, so! Nein, so! eine Rolle spielt, setzt ebenfalls auf Tiere als Protagonisten. Allerdings konzentriert sie sich nicht auf eine Tierart, sondern engagiert einen ganzen Reigen an großen und kleinen, bekannten und nicht so bekannten Tieren. Diese stellt sie jeweils auf einer Doppelseite mal zentral als Figur vor einen mehr oder weniger planen Hintergrund, mal platziert sie sie einzeln oder als gemischte Gruppe in eine definierte Szenerie. Ersteres ähnelt vom Konzept her Mies van Houts Gestaltung, wird grafisch aber völlig anders umgesetzt.

Illustratonsstil

Kathrin Schärers Stil ist ein eher klassischer, wunderbar fluffig und sehr, sehr niedlich. Im besten Wortsinn. Und keineswegs altbacken, falls der Eindruck entstehen sollte… Sie verwendet pastellige, sanfte, manchmal auch gedeckte, erdige Farben. Ihr Zeichenstil ist detaillierter als Mies van Houts, nicht expressiv und ebenfalls sehr gut in der visuellen Darstellung der Emotionen anhand von Farbwahl, Strichführung und Tiermimik. Dadurch, dass die Tiere immer wieder auch in bestimmten Situationen gezeigt werden, spannt Kathrin Schärer einen Bildraum auf und erzählt auf schlanken zwei Seiten ohne weiteren Text eine kleine Geschichte.

Was noch

Da sein war 2021 eines der Besten 7 Bücher für junge Leser des Deutschlandfunks.

Jan Lenarz, Nicholas Larimer u. Lena Kuhlmann: Ein gutes Gefühl.

Alter

ab 6 bis 11 Jahren, ab 4 Jahren mit etwas mehr Unterstützung

Inhalt

20 Gefühle sind es in diesem Kinderbuch, die für schon etwas größere Leser ausgewählt wurden. Dieses Mal werden die einzelnen Emotionen von Monstern verkörpert. Vom Aufbau her unterscheidet sich dieses Buch deutlich von den beiden anderen und ist mit therapeutischer Beratung (Lena Kuhlmann) entstanden. Es werden nicht nur einzelne Adjektive oder Zustandsbegriffe genannt, sondern jedes Gefühl wird auf einer Seite näher erklärt. Durch anschauliche Beispiele aus der Lebensrealität der Kinder werden diese zusätzlich greif- und verstehbar gemacht. Zudem ist dem Buch ein einführender Text vorangestellt, der unter anderem Gefühlserklärungen und die Anleitung enthält, wie das Buch benutzt werden kann – inklusive einer ausgefüllten Beispielseite. Denn es handelt sich bei Ein gutes Gefühl um ein Gefühlstagebuch, das Kinder nochmal anders aktiv mit Kopf und Händen einbindet. Angelegt ist es auf 100 Tage, wobei ausdrücklich betont wird, dass es völlig in Ordnung ist, auch Tage auszulassen und sein eigenes Tempo zu bestimmen. Damit wird wohltuend Druck rausgenommen. Nach jeweils zehn Tagen gibt es eine Seite mit Rätseln, Spielen und Bastelideen. Das lockert die Tagebuchstruktur auf und das Erkennen und Benennen der Gefühle wird nochmal spielerisch geübt wie wiederholt und damit gefestigt.

Illustrationsstil

Gestalterisch sind die Seiten sehr übersichtlich in Monster plus Gefühlsbeschreibung und dem eigentlichen Tagebuch unterteilt. Klare Umrisse und Farben kennzeichnen den Zeichenstil. Vergleichbar mit Mies van Houts Vorgehen, sich auf eine einzelne Figur im leeren Raum zu konzentrieren, stehen die Monster auch für sich. Die Farbauswahl erinnert an die Palette eines Malkastens und sorgt somit für eine gute Übersichtlichkeit und einen hohen Wiedererkennungswert im Monsterpanoptikum. Denn spannend ist, dass bei der täglichen Auswahl an Gefühlen nicht das Wort angekreuzt werden soll, sondern das dazugehörige Monster. Die Emotion wird nicht mehr genannt, das Monster muss erkannt bzw. an Mimik und Farbe das jeweilige Gefühl identifiziert werden.

Was noch

Ein gutes Gefühl war 2021 für Die Schönsten Deutschen Bücher der Stiftung Buchkunst nominiert.

Fazit

Letztendlich haben alle drei Bücher das gleiche Thema, setzen es aber in ihrer ganz eigenen Art und Weise um. Entscheidungskriterien sind eher Alter, Geschmack und Illustrationsstil. Alle drei Bücher nutzen, mehr oder weniger, nicht nur den kognitiven Weg, um ein Verständnis für das jeweilige Gefühl zu entwickeln, sondern vor allem auch die körperliche Ebene: dadurch, dass Tiere wie Monster in ihrer Mimik und Gestik sich sehr spielerisch so zeigen, wie sich ein gewisses Gefühl anfühlt und ausdrückt, schaffen es Kinder, die gleichen körperlichen Anzeichen auch bei sich zu entdecken. Die körperliche Landkarte hilft dabei, die jeweilige Emotion wirklich zu erfahren und damit auch benennen zu können.

Ein absoluter Pluspunkt ist für mich dabei, dass in jedem dieser Bücher alle Gefühle gleichwertig sind. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung. Es wird nicht ge- und bewertet und zwischen guten und bösen Gefühlen unterschieden. Gleichzeitig helfen diese Bücher durch ein bewusstes oder wiederholtes Beschäftigen mit diesem Thema Kindern und Erwachsenen dabei, die Aufmerksamkeit dahingehend zu sensibilisieren, ob und warum bestimmte Gefühle und damit evtl. auch Bedürfnisse verstärkt, gehäuft oder über einen längeren Zeitraum auftreten.

Die eigene Gefühls- und Bedürfniswiese ist eine Blumenwiese, auf der alles wachsen darf, alles darf sein. Schatten- wie Sonnenpflanzen, die nichts mit den Kategorien positiv und negativ zu tun haben. Gefühle und Bedürfnisse stehen außerhalb jeglicher Bewertung. Wichtig ist nur, dass ich weiß, was da so wächst, warum es dort wächst, und wie ich damit gut für mich und andere umgehe.

Als Ergänzung sei hier noch auf die Kartensets verwiesen, die es mittlerweile zu den Büchern Heute bin ich und Da sein. Was fühlst du. gibt.

Bibliografische Informationen

Mies van Hout: Heute bin ich

Zürich: aracari

2024, 26. Auflage

48 Seiten

978-3-905945-30-0

15,-€

ab 3 Jahren

 

 

Kathrin Schärer: Da sein. Was fühlst du.

München: Hanser

2023, 7. Auflage

64 Seiten

978-3-446-26956-9

14,-€

ab 3 Jahren

Jan Lenarz, Nicholas Larimer u. Lena Kuhlmann: Ein gutes Gefühl

Berlin: Ein guter Verlag

2024, 4. Auflage

145 Seiten

4-260653-841160

19,90€

ab 6 bis 11 Jahren, mit etwas mehr Unterstützung ab 4 Jahren