Rezension: Edgar H. Schein, Humble Consulting - die Kunst des vorurteilslosen Beratens
Von Clara Herz
In unserem Blog möchten wir euch heute ein Buch vorstellen, das sich thematisch vor allem dem Bereich der Organisationsentwicklung und -beratung zuordnen lässt. Der Beratungsansatz, den der Autor in seinem Buch vorstellt, ist allerdings weit darüber hinaus einsetzbar – etwa in Mediation, Konfliktberatung und -coaching, aber auch in Führungskontexten oder anderen Bereichen, in denen Menschen um Rat und Unterstützung gebeten werden.
Autor des Buchs ist der im Januar 2023 verstorbene amerikanische Sozialwissenschaftler Edgar H. Schein, der als Mitbegründer der Organisationsentwicklung gilt und der mit seiner Forschung über Organisationskultur und Leadership weltweite Bekanntheit erlangt hat.
Bibliografische Informationen:
Edgar H. Schein
Humble Consulting – die Kunst des vorurteilslosen Beratens
Hardcover | Carl-Auer | 2017
187 Seiten
39 EUR
Sprache: deutsch
ISBN: 978-3-8497-0165-9
Worum geht es?
In seinem Buch „Humble Consulting“ beschreibt Edgar H. Schein einen Beratungsansatz, bei dem vor allem die eigene Haltung und die Beziehung zwischen Berater:in und Klient:in im Vordergrund stehen. Mit dem Begriff des „Humble Consulting“ – oder kurz: „HC“ – ist eine von Demut oder Bescheidenheit geprägte Beratung gemeint, bei der sich die beratende Person inhaltlich sehr stark zurücknimmt. „Wichtigste neue Fähigkeit“ im Humble Consulting ist nach Edgar H. Schein das aufmerksame, empathische Zuhören.
Zur Haltung im Humble Consulting gehören drei wesentliche Aspekte: Commitment, Curiosity und Care („CCC“).
- Commitment („Engagement“): Grundvoraussetzung für eine gelingende Beratung ist nach Edgar H. Schein, dass die beratende Person gefühlsmäßig zum Helfen bereit ist, sie also aufrichtig helfen will und nicht etwa andere (wie z.B. monetäre) Motive für die Unterstützungsleistung im Vordergrund stehen.
- Curiosity („Neugier“): Neben einer engagierten Grundhaltung gehört auch das aufrichtige Interesse an der Situation und der Person des Gegenübers zu den Grundvoraussetzungen im HC. Zentral hierfür ist die Neugier darauf herauszufinden, „was da draußen geschieht und was andere erleben und worüber sie sich Sorgen machen“ (S. 80, 81).
- Care („fürsorgliches Interesse“): Mit der dritten Grundvoraussetzung rückt Edgar H. Schein die Beziehungsebene zwischen Berater:in und Klient:in in den Vordergrund. Hierzu zählt auch, sich von vorgefassten Meinungen freizumachen und dem Gegenüber offen und interessiert im Hier und Jetzt zu begegnen.
Die gerade angesprochene und im Humble Consulting angestrebte Beziehungsebene bezeichnet Schein als „Level-2-Beziehung“, die er von anderen Kontexten wie folgt abgrenzt:
- „Level-1-Beziehungen“, wie sie uns laut Schein etwa in traditionellen ärztlichen oder juristischen Beratungskontexten begegnen, sind von professioneller Distanz und Asymmetrie geprägt. Die helfende Person verfügt hier typischerweise über ein besonderes Fachwissen und auch über einen besonderen sozialen Status, was dazu führt, dass der Austausch eher transaktional und bürokratisch ausgestaltet ist.
- Deutlich persönlicher sind demgegenüber „Level-2-Beziehungen“, die ein höheres Maß an Offenheit und Vertrauen erfordern. Hier geht es weniger um die Begegnung zweier Personen in einer bestimmten Rolle, sondern auf einer menschlichen Ebene – und genau das erhöht laut Schein die Wahrscheinlichkeit herauszufinden, was den anderen wirklich beschäftigt, was seine Ängste und Sorgen sind und welche Form der Unterstützung der andere in der konkreten Situation wirklich braucht.
- Als „Level-3-Beziehungen“ ordnet Schein schließlich Freundschaften und Liebesbeziehungen ein, die von einer besonderen emotionalen Verbindung und Nähe der jeweiligen Personen gekennzeichnet sind.
Nutzen für die Mediation
Für Mediator:innen sind die Überlegungen von Edgar H. Schein zum Humble Consulting aus mehreren Gründen hilfreich. Zum einen verdeutlicht der HC-Ansatz die Haltung, der sich Beratende für eine gelingende Unterstützung ihrer Klient:innen immer wieder neu vergegenwärtigen sollten. Zum anderen beschreibt Schein sehr eindrücklich die Situationen, für die Humble Consulting konzipiert ist: komplexe Probleme, in denen die beratende Person regelmäßig keinen Rat im engeren Sinne erteilen kann, sondern die Beteiligten vor allem dabei unterstützt werden, das Problem eigenständig und in kleinen „Anpassungsbewegungen“ zu lösen.
Besonders interessant sind auch die Ausführungen zur Kommunikation in der Beratung (S. 81 ff.). Hier geht Schein nicht nur auf verschiedene Formen des Zuhörens ein (selbstorientiert, inhaltsbezogen, personenbezogen), sondern befasst sich auch mit möglichen Reaktionsweisen und Fragetechniken.
Erhellend sind auch die insgesamt 25 Fallbeispiele, in denen Schein eigene Fälle aus der Organisationsberatung wiedergibt – teils sogar mit wörtlichen Dialogen, was die Fallbeispiele nicht nur besonders anschaulich macht, sondern auch als konkrete Formulierungshilfe für die praktische Arbeit dienen kann. Ergänzt werden die Fallbeispiele durch ausführliche persönliche Reflexionen des Autors, in denen er die Leser:innen an seinen Erfahrungen und Lektionen aus den einzelnen Fällen teilhaben lässt.
Fazit
Mit „Humble Consulting“ lädt Edgar H. Schein dazu ein, herkömmliche Vorstellungen von Beratung und Consulting zu überdenken und sich über eine demütige und dialogorientierte Herangehensweise den Problemschilderungen der Klient:innen anzunähern. Für Mediator:innen dürfte dies eine weitgehende Selbstverständlichkeit sein – umso zentraler erscheinen seine Ausführungen deshalb für alle, die mediative Ansätze in Führung und Beratung einbringen möchten oder auf der Suche nach neuen Impulsen für den Umgang mit Transformationskontexten in Organisationen sind.
Weiterführende Literatur
Falls ihr euch weiter mit dem Thema beschäftigen möchtet, haben wir hier noch einige weiterführende Literaturhinweise zusammengetragen:
- Edgar H. Schein, Humble Inquiry, EHP: 2016
- Edgar H. Schein, Humble Leadership, EHP: 2019
- Sonja Radatz, Beratung ohne Ratschlag, 11. Auflage, VSM: 2023
- Carl R. Rogers, Die nicht-direktive Beratung, FISCHER Verlag: 1985
- Sabine Weinberger, Klientenzentrierte Gesprächsführung, 14. Auflage, Beltz Juventa: 2013
Ein abschließender Dank gilt dem Carl-Auer Verlag, der uns das Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.