Konflikte und ihre Ursachen verstehen
Von Clara Herz
Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.
Rumi
Positionen vs. Interessen und Bedürfnisse
Wer sich mit Mediation beschäftigt, beschäftigt sich notwendigerweise auch mit Konflikten, also mit Streitigkeiten und Auseinandersetzungen, mit Situationen, in denen zwei oder mehrere unterschiedliche Positionen aufeinanderprallen. Gerade die Fokussierung auf die starren Positionen der Parteien vertieft den bestehenden Konflikt jedoch meist nur weiter und führt in der Regel zu einer Lösung, die sich als wenig zufriedenstellender Kompromiss darstellt.
Beispiel – ein Klassiker: Die Geschwister Max und Moritz streiten sich um eine Orange. Jeder der beiden beansprucht die ganze Orange für sich. „Ich will die Orange!“ – „Nein, ich will sie haben!“ So geht es nun einige Zeit zwischen den beiden hin und her. Entnervt einigen sich Max und Moritz schließlich darauf, dass die Orange halbiert wird und jeder eine Hälfte bekommen soll.
In der Mediation geht der Blick weg von den Positionen der Parteien hin zu den individuellen Bedürfnissen und Interessen. Bezogen auf das Beispiel hätte eine erste Annäherung zur Lösung des Konflikts beispielsweise mit einem schlichten „Warum?“ bzw. „Wozu?“ erreicht werden können. Denn wer das Beispiel kennt, weiß wie die Geschichte alternativ zu Ende geht:
Als Max erfährt, dass Moritz mit der Orange eigentlich nur einen Kuchen backen möchte und hierfür lediglich die Orangenschale braucht, löst sich das Problem: Max will Orangenlimonade herstellen, benötigt also ausschließlich den Saft der Orange. Die beiden beschließen deshalb, dass Moritz zuerst den Kuchen backt und Max im Anschluss den Rest der Orange für seine Limonade erhält. Beide sind glücklich und zufrieden.
In seiner Einfachheit mag das Beispiel zunächst etwas platt erscheinen. Und dennoch illustriert es ein häufig anzutreffendes Grundproblem in Konflikten: Gestritten wird auf der Sachebene, Forderungen werden gestellt, Ansprüche sollen durchgesetzt werden. Zeigt sich das Gegenüber nicht bereit zu Verhandlungen, bleibt womöglich nur der Weg vor Gericht. Dieser Weg soll hier als solcher gar nicht in Abrede gestellt werden: Wem die Rechtsordnung bestimmte Ansprüche zubilligt, dem steht ein ganzes Instrumentarium juristischer Möglichkeiten zur Verfügung, um seine Rechte – ggf. auch zwangsweise – durchzusetzen bzw. durchsetzen zu lassen.
Im interessenbasierten Verhandeln nach der Harvard-Methode und genauso in der interessen- und bedürfnisorientierten Mediation stehen hingegen die tieferliegenden Interessen und Bedürfnisse im Vordergrund. Dies hat eine doppelte Bewandtnis: Zum einen wird so eine breitere Grundlage für die Erzielung einer Einigung geschaffen. Zum anderen ermöglicht der Blick auf die Interessen und Bedürfnisse ein tieferes Verständnis für den Konflikt und auch dafür, worum es den Konfliktbeteiligten eigentlich geht.
Konfliktursachen verstehen mit dem Eisbergmodell
Ein Modell, das genau diese Überlegung aufgreift, ist das nachfolgend abgebildete Eisbergmodell nach Christoph Besemer:
Ein Konflikt ähnelt demnach einem Eisberg: Der (nach außen) sichtbare Konflikt wird an der Oberfläche ausgetragen. Unter der Oberfläche sind die eigentlichen Ursachen des Konflikts, die Konflikthintergründe, versteckt im Dunklen angesiedelt. So können Konflikte etwa auf unterschiedlichen Informationen oder unterschiedlichen Interpretationen und Bewertungen von Informationen beruhen. Ebenso können Konflikte entstehen, wenn die Beteiligten unterschiedliche Wertevorstellungen haben oder ihre Interessen als konkurrierend erleben. Auch auf der Beziehungsebene können Konflikte ihren Ursprung haben, beispielsweise infolge abwertenden Verhaltens oder Problemen in der Kommunikation. Denkbar sind außerdem sog. Strukturkonflikte, etwa wenn ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten herrschen.
In der Mediation kann es deshalb zunächst vor allem darum gehen, die unter der Oberfläche verborgenen Konfliktursachen ans Licht zu holen und hier gemeinsam mit den Medianden etwas mehr Klarheit zu schaffen. Möglicherweise entschärft sich der Konflikt bereits dadurch, dass vorhandene Missverständnisse ausgeräumt werden oder die Sichtweise des Gegenübers erstmalig nachvollzogen werden kann.
Auch außerhalb der Mediation ist das Eisbergmodell als Selbstreflexions-Tool hilfreich. Um eine Konfliktsituation besser zu verstehen, eignen sich beispielsweise folgende Fragen:
(1) Fragen zum sichtbaren Konflikt an der Oberfläche:
- Welche Position vertrete ich? Welche Forderung habe ich an mein Gegenüber gestellt?
- Welche Position vertritt mein Gegenüber? Was verlangt mein (Verhandlungs-)Partner?
(2) Fragen zum Konflikt in der Tiefe:
- Welche Informationsgrundlage habe ich? Von welchen Annahmen gehe ich aus?
- Mein Gegenüber und ich, wie stehen wir zueinander? Wie schätze ich unsere Beziehung ein?
- Losgelöst von der konkreten Forderung: Worum geht es mir hier eigentlich? Welches Bedürfnis ist gerade für mich nicht erfüllt?
- Eventuell ergänzend: Welche Werte habe ich? Welche meiner Werte sind hier eventuell berührt?
Sich diese Fragen im Hinblick auf einen existierenden Konflikt zu stellen, kann bereits viel zur Selbstklärung beitragen. Im nächsten Schritt wäre das Gespräch mit dem Gegenüber zu suchen. Dem anderen dann allerdings offen und interessiert zuzuhören, kann eine echte Herausforderung sein. Genau an diesem Punkt setzt die Mediation an: die Leitung des Gesprächs an einen neutralen Dritten abzugeben, der für Struktur und Fairness sorgt, wird häufig als große Entlastung und Erleichterung empfunden. Gerade in Paarkonflikten kann darüber hinaus auch das Format des sog. „Zwiegesprächs“ helfen, um mehr Verständnis füreinander zu entwickeln. Mehr dazu in einem eigenen Beitrag.