Restorative Justice: Vermittlung in strafrechtlichen Konflikten
Von Daniela Hirt
Über die Autorin: Daniela Hirt arbeitet als Projektleitung, Fachberaterin und Fortbildnerin im Bereich Restorative Justice in der Justiz und führt Gewaltpräventionsangebote zu Häuslicher Gewalt im In- und Ausland durch. Ihre Erfahrungen als Systemische Familientherapeutin, Traumapädagogin und Fachkraft für Täterarbeit Häusliche Gewalt ergänzen ihre seit 2016 aufgenommene Tätigkeit als Projektkoordinatorin für Restorative-Justice-Angebote im Strafvollzug auf der Grundlage des Konzeptes „Betroffenenorientiertes Arbeiten im Strafvollzug (BoAS)“.
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Hintergrund und Entwicklung der Restorative Justice
Traditionell liegt der Fokus im Strafrechtssystem auf strafenden Maßnahmen. Täter:innen sollen durch Sanktionen von weiterer Straffälligkeit abgehalten werden, während die Gesellschaft durch abschreckende Strafen geschützt wird. Die weitgehend einseitige Täter:innenorientierung führt allerdings häufig dazu, dass die Betroffenen von Straftaten kaum eine Möglichkeit erhalten, sich mit ihren Bedürfnissen zu positionieren und sich dadurch als selbstwirksam zu erleben. Gleichzeitig bleiben Täter:innen, die sich nicht mit den Konsequenzen ihrer Handlungen auseinandersetzen, oft in destruktiven Verhaltensmustern gefangen, was die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls erhöhen kann.
Zunehmend etabliert sich jedoch ein Ansatz im Strafrecht, der darauf abzielt, die durch kriminelles Verhalten verursachten Schäden auszugleichen und Wiedergutmachung zu leisten: die Rede ist von der sog. Restorative Justice, auch als „wiederherstellende Gerechtigkeit“ oder als „wiederherstellende Justiz“ bekannt. Im Zentrum steht ein kooperativer Prozess, der den Fokus von Bestrafung auf Heilung und Versöhnung verlagert. Dieser Ansatz bringt alle an der Tat direkt oder indirekt Beteiligten zusammen – sofern sie dies wünschen –, um die individuellen und gemeinschaftlichen Folgen einer Straftat zu verstehen und nachhaltige Antworten auf offene Fragen und ungestillte Bedürfnisse der Betroffenen zu finden.
Die Wurzeln von Restorative Justice lassen sich auf die Rechtstraditionen indigener Völker wie der Māori in Neuseeland oder der First Nations in Nordamerika zurückführen. Diese Kulturen legen großen Wert auf kollektive Verantwortung, Harmonie und die Wiederherstellung gestörter Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft. Hier stehen nicht die Bestrafung von Täter:innen, sondern die Wiederherstellung des sozialen Gleichgewichts und die Wahrnehmung der Tatfolgen der Betroffenen von Straftaten auf allen Ebenen im Vordergrund.
Restorative Justice als Paradigmenwechsel
In den 1980er Jahren gewann die Restorative Justice im angelsächsischen Raum an Bedeutung, wo eine gesellschaftliche Reformbewegung ein alternatives Verständnis von Gerechtigkeit etablieren wollte. Ziel war es, die damals vorherrschende Vergeltungslogik („retributive justice“) zu überwinden und die Betroffenen von Straftaten stärker in den Strafprozess einzubeziehen. Während das traditionelle System Straftaten als abstrakte Rechtsverletzungen betrachtete, die vor allem den Staat betrafen, sieht die Restorative Justice sie als Verletzungen von Menschen und Gemeinschaften, die individuelle und soziale Heilung erfordern. Dieser Paradigmenwechsel, der zunehmend die Bedürfnisse und somit auch die Würde der Betroffenen von Straftaten ins Zentrum stellte, wurde durch die Forschung von Expert:innen wie z.B. Howard Zehr und Otmar Hagemann unterstützt. Ihre Arbeiten prägen die grundlegenden Prinzipien der Restorative Justice, darunter die Anerkennung von Schäden, die Förderung von Verantwortungsübernahme und die Suche nach Lösungen, die die Heilung aller Beteiligten ermöglichen.
Empfehlenswert an dieser Stelle ist der Film „All Eure Gesichter“ (Arthouse/studiocanal; Originaltitel: „Je verrai toujours vos visages“) der französischen Regisseurin Jeanne Herry aus dem Jahr 2023. Der Film bietet einen hervorragenden Einblick in das Thema Restorative Justice und lockte in Frankreich bereits mehr als eine Million Zuschauer:innen in die Kinos. Der Film zeigt unter anderem die Begegnung von Betroffenen von Straftaten und verurteilten Straftätern im Gefängnis in einem restaurativen Kreisdialog. Es gibt zudem einen zweiten Handlungsstrang, in dem es um die Begegnung einer Betroffenen mit dem Tatverantwortlichen von sexualisierter Gewalt geht. Ein berührender, anschaulicher und auf jeden Fall sehenswerter Film.
Das im kommenden Frühjahr erscheinende Heft 1/2025 des „Spektrums der Mediation“ wird die verschiedenen Bereiche der Restorative Justice in zahlreichen Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis näher vorstellen. Das Heft und eine Vorschau der einzelnen Beiträge sind nach Veröffentlichung unter folgendem Link verfügbar: https://psychosozial-verlag.de/programm/4000/4134/