Machtausübung und manipulative Techniken in Mediation und Beratung: Interview mit Walter Herter
Walter Herter ist ein wertschätzend unbequemer Sparringspartner für berufliche Situationen, für die jemand Übersicht in der Unbestimmtheit sucht und wirkungsvolle Vorgehensweisen für sich und seine Organisation entwickeln will. Im Interview mit unserem Teammitglied und Mediator Thomas Ziehl (TZ) hat Walter Herter (WH) über Macht und den Umgang mit Manipulationstechniken in Mediation und Beratung gesprochen.
Walter Herter
Coach, Trainer, Change- und Konfliktberater, Transaktionsanalytiker
TZ: Wie bist du zum Thema Konflikte gekommen?
WH: Im Rahmen meiner Ausbildung zum Berater und Trainer habe ich mich zum ersten Mal bewusst mit dem Thema Konflikte beschäftigt. Konflikte sind natürlich immer da. In meinem Elternhaus konnte ich sehr viele Konflikte beobachten und miterleben. Damals habe ich mir aber nicht viele Gedanken darüber gemacht, sondern habe nur versucht nicht unterzugehen (lacht). Das hat lange Zeit auch mein Lebensskript geprägt. Vor allem in meiner Ausbildung zum Aggressionsberater beim Odenwald Institut und bei meiner Ausbildung zum Konfliktberater beim Syst Institut habe ich mich dann sehr eingehend mit der Konfliktthematik beschäftigt. Durch die u.a. dort praktizierte Aufstellungsarbeit konnte ich noch neue Blickrichtungen auf das Thema entdecken.
TZ: Wie äußert sich Machtausübung im Rahmen deiner Arbeit als Konfliktberater?
WH: Da gibt‘s zwei Perspektiven. Die eine betrifft die strukturellen Aspekte der Macht (Hierarchie, Aufbau- und Ablauforganisation, Kennzahlen etc…). Das ist jedoch ein extra Thema. Das andere ist die Machtausübung durch Sprache, also Sprache als Kampfmittel. Das beginnt im Prinzip schon im Vorfeld einer Beratung oder einer Mediation. Da gibt es ja häufig eine Menge Abwehr mit Aussagen wie „Das ist doch viel zu teuer“ oder „Das brauchen wir doch nicht“. Damit wird ja schon demonstriert: „Ich will das nicht. Ich will etwas anderes.“ Ich beobachte da meist drei Aspekte:
- Ein Lerndefizit. Es wurde nicht gelernt die eigenen Interessen angemessen zu formulieren und für deren Durchsetzung einzustehen.
- Ein Schutzdefizit. Gefühle von Angst und Unsicherheit begleiten die Situation.
- Eine Machtdemonstration. Das Recht-haben-wollen um jeden Preis.
Bisweilen tauchen auch alle drei Aspekte zugleich auf.
In Mediation und Konfliktberatung gibt es ja eigentlich eine Zustimmung zum WIR-Raum in dem dann gemeinsam nach Lösungen gesucht werden kann. Die Macht- und Manipulationstechniken sind ein Ausstieg aus diesem Raum, also weg von der gemeinsamen Lösung zu „Jetzt geht es nur um mich.“ Da ist es als Berater wichtig, genau hinzuschauen, wann der geschaffene Rahmen der Spielregeln der Beratung oder Mediation verlassen wird und dann natürlich auch den passenden Umgang damit zu finden. Wie kann ich also in Kontakt bleiben und gleichzeitig eine Grenze setzen. Die anderen Teilnehmenden beobachten dann sehr genau, wie ich als Berater/Mediator mit diesen Macht- und Manipulationstechniken umgehe, denen sie sich selbst oft hilflos ausgesetzt fühlen.
TZ: Wie gehst du als Berater mit einer solchen Situation um?
WH: Zuerst mal ist es für mich wichtig innere Ruhe zu bekommen. Marshall B. Rosenberg (der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation) sagte da mal in einem Video: „Take your time, Marshall.“ Also, durchatmen und sich Zeit nehmen, nicht sofort reagieren. Manchmal klappt es aber nicht mit Langsamkeit und es braucht ein klares Stop oder auch eine humorvolle Intervention. Da habe ich in meiner Transaktionsanalyse-Ausbildung gelernt, unbekümmert, aber nicht respektlos zu sein. Bei mir kommt dann häufig auch der Dialekt zum Vorschein und ich erlaube mir, selbst ärgerlich zu sein. Das war für mich ein Lernprozess zu erkennen, dass es okay ist, wenn ich ärgerlich bin. Denn sonst bin ich wehrlos. Aus dem Ärger entsteht die Kraft, „STOP!“ zu sagen. Gleichzeitig habe ich da aber auch gewisse Distanz zu der Situation und eine Stimme die sagt: „Spannend. Was macht dich denn gerade so ärgerlich?“ Die Herausforderung besteht darin, in meiner Rolle als Berater und gleichzeitig als Mensch präsent zu sein.
TZ: Welche Formen von Manipulationstechniken erlebst du im Beratungskontext?
WH: Ganz häufig begegnen mir tangentiale Antworten, also das Herausschleichen aus der Kommunikation, blockierende Antworten, etwa wie: „Beantworten Sie erst mal meine Frage!“ oder auch ganz direkte Angriffe wie „So ein Sch.., den Sie da erzählen.“ Viel häufiger als die klassischen Kampf-und Manipulationstechniken, bei denen es darum geht, jemanden unterzukriegen, begegnen mir subtilere Formen, wo es eher darum geht, sich dem Prozess zu entziehen und das abzuhalten, was da gerade auf die Person zukommt, also wenn‘s „oagnehm“ (unangenehm) wird. Manipulationstechniken können dann auch in einem sich-klein-machen bestehen, um sich so zu entziehen oder auch dauernde Rechtfertigungen und ein um-den-heißen-Brei-reden, so wie die bekannte Ja-aber- Falle. All das können Versuche sein, auszuweichen und das Gegenüber zu betäuben, um so den Prozess zu behindern.
TZ: Wie kann ich als Mediator oder Berater den Umgang mit solchen Techniken lernen?
WH: Für mich waren das viele kleine Schritte, zu lernen Grenzen zu setzen. Meine ersten kleinen „Mutproben“ waren das Ausprobieren beim Einkaufen. Zum Beispiel wenn ich an der Theke stehe und die Verkäuferin fragt „Darf es ein bisschen mehr sein?“ und ich antworte mit „Nein.“ (heute muss ich natürlich im Nachhinein darüber schmunzeln). Also: wirklich in Alltagssituationen Grenzen setzen und dann beobachten, was passiert. Auch das Auseinandersetzen mit rhetorischen Tricks, die beispielsweise gerne von Politiker:innen in Talkshows eingesetzt werden, kann sehr hilfreich sein.
Außerdem braucht es die Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Biographie, den eigenen Verhaltensweisen auf den Grund gehen, um herauszufinden, wo die eigenen Grenzen sind. Dabei geht es vor allem um meine eigene Konfliktfähigkeit und auch um die Unerschrockenheit vor den Tiefen des Menschseins mit seinen Abgründen mit Wut, Angst, Aggression, Gewalt etc. Ich selbst hatte Gelegenheit während meiner Ausbildung zum Aggressionsberater bei einer sehr gut angeleiteten Übung sehr drastische Gewaltphantasien zu erleben. Den Blick auf diese Energie zu richten und dabei unerschrocken zu sein, hilft, dass sich diese Energie eben nicht destruktiv beispielsweise in passiv-aggressiven Verhaltensweisen äußert. Von daher ist mein Rat, immer wieder in den „Spiegel zu schauen“, die eigene Gefühlswelt zu erkunden und viel zu üben. Üben, dranbleiben, sich ernst nehmen.
TZ: Vielen Dank, Walter, für das interessante Gespräch. Alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei deiner Arbeit!
Buchtipps:
A. Cicero, J. Kuderna, Clevere Antworten auf dumme Sprüche, Junfermann
Christa Kolodej, Strukturaufstellungen für Konflikte, Mobbing und Mediation, SpringerGabler
Beiträge von Walter Herter: